
Dem Bundesrat gebührt Lob für seine klare Haltung und seinen Mut in der Europapolitik. Im Dezember hat er erfolgreich die Verhandlungen mit Brüssel abgeschlossen, um die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union zu stabilisieren. Letzten Freitag hat er dann auch die von den Sozialpartnern ausgehandelten Massnahmen zur Sicherung des Lohnschutzes vorgestellt. Zeitgleich stellte er klar, dass die SVP-Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit einen direkten Angriff auf die bilateralen Verträge darstellt und die Schweiz in Europa isolieren würden.
Die Auseinandersetzung im Parlament und dann im Abstimmungskampf werden trotzdem herausfordernd. Die eingefleischten EU-Gegner werden ihre isolationistische Propagandawalze ausfahren. Sie werden die EU als bedrohliche Macht darstellen. Obwohl dieses Zerrbild unserer friedlichen Nachbarstaaten angesichts der realen Bedrohungen aus Putins Russland und Trumps Amerika absurd ist. Umso wichtiger ist es, einen kühlen Kopf zu bewahren und der interessierten Öffentlichkeit fünf grundsätzliche Punkte in Erinnerung zu rufen.
- Partnerschaft: Die EU ist nicht unsere Gegnerin, sondern unsere Nachbarin und unser eigentlicher Heimmarkt. Gerade in einer geopolitisch zerrütteten Welt ist ein sicherer Zugang zum Heimmarkt überlebenswichtig für unsere Wirtschaft. Die neuen Verträge bedeuten keine «Unterwerfung», wie die Gegner behaupten, sondern eine Fortsetzung der bilateralen Partnerschaft. Der Bilateralismus ist keineswegs der Liebling der EU, sondern derjenige der Schweiz. Wir haben der EU diese Methode zur Gestaltung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen aufgezwungen, weil sie der Schweiz bestmögliche Bedingungen erlaubt: Partnerschaft auf Augenhöhe, sicherer Marktzugang, grösstmögliche Selbstbestimmung. Schweizerischer geht es nicht!
- Rechtssicherheit: Bei den «institutionellen Fragen» im Vertragswerk geht es um Rechtssicherheit. Diese gehört in jeder internationalen Vereinbarung zur Grundausstattung. Im Verhältnis Schweiz-EU hat sie bisher gefehlt, jetzt kommt sie mit einer ausgeklügelten Streitbeilegung endlich. Und wie in jedem bilateralen oder multilateralen Vertrag wird als letzte Instanz kein «fremder Richter», sondern ein paritätisch besetztes Schiedsgericht entscheiden. Streit wird also rechtlich und nicht mehr politisch beigelegt. Das ist ein Gewinn, weil ein verrechtlichtes Verhältnis immer im Interesse der kleineren Partnerin ist, also der Schweiz.
- Souveränität: Die bestehenden bilateralen Verträge sind «statisch». Sie halten einen Zustand beim Abschluss fest und können nur durch mühselige Verhandlungen von Fall zu Fall angepasst werden. Neu werden die Verträge «dynamisiert». Das heisst, dass ihre Aktualisierung endlich zum Normalfall wird. Das ist weit besser als die schleichende Entwertung durch Stillstand, welche wir heute haben. «Dynamisch» heisst aber nicht «automatisch». Dynamisch bedeutet: Wir können zu jeder von der EU beschlossenen Neuerung – souverän – Ja oder Nein sagen. Wenn wir Nein sagen, kann die EU als Vertragspartnerin mit verhältnismässigen Ausgleichsmassnahmen Kompensation verlangen. Ob eine allfällige Ausgleichsmassnahme wirklich verhältnismässig ist, kann die Schweiz vom paritätischen Schiedsgericht überprüfen lassen.
- Wohlstand: Wichtige Branchen wie das Gesundheitswesen, die Industrie, das Baugewerbe oder die Gastronomie würden ohne die Arbeitskräfte aus der EU kollabieren. Die europäischen Einwanderinnen und Einwanderer zahlen Steuern und zahlen mehr in die Schweizer Sozialwerke ein, als sie von ihnen beziehen. Die Personenfreizügigkeit ist unter dem Strich eine Garantin für das Funktionieren und den Wohlstand der Schweiz. Dies gilt in noch höheren Mass für Graubünden. Zudem ist sie keine Einbahnstrasse: In der EU leben so viele Schweizerinnen und Schweizer wie in der ganzen Ostschweiz.
- Patriotismus: Patriotismus ist nicht dasselbe wie Nationalismus. Patriotismus bedeutet, das eigene Land zu lieben. Nationalismus bedeutet, auf andere Länder hinunterzublicken, sie gar zu verachten. Wer patriotisch handeln will, setzt sich dafür ein, dass die Schweiz ein geregeltes Verhältnis zu ihren Nachbarn hat. Denn nur gute Nachbarschaft und geregelte Beziehungen ermöglichen es unserem Land, seine Zukunft und die unseres Kontinents zu gestalten. Die grossen Herausforderungen unserer Zeit lassen sich ohnehin nur im Verbund europäischer Staaten und Gesellschaften lösen. Isolation und nationalistische Überheblichkeit schaden hingegen unserem Land und seiner Handlungsfähigkeit und sind darum unpatriotisch.
Es ist völlig legitim und notwendig, um die bestmöglichen innenpolitischen Begleitmassnahmen in Bereichen wie Lohnschutz, Service public oder Zuwanderung zu ringen. Gute Lösungen in den Details des Gesamtpakets sichern am Ende dessen Mehrheitsfähigkeit. Gleichzeitig darf das übergeordnete Ziel nicht aus den Augen verloren werden: Eine geregelte Beziehung der Schweiz mit der EU. Sie ist die Grundlage für die Gestaltung unserer Zukunft und der Zukunft unseres Kontinents.
Spätestens seit dem Amtsantritt von Donald Trump sind stabile Beziehungen zu Europa auch eine geostrategische Notwendigkeit für die Schweiz. Trumps Verrat an der Ukraine und damit auch an Europas Sicherheit, sein Appeasement gegenüber dem Aggressor Putin und seine eigenen imperialen Ambitionen sind auch für unser Land ein Weckruf. Mehr europäische Integration ist auch aus sicherheitspolitischen Gründen das Gebot der Stunde. In dieser gefährlichen Welt ist unsere Selbstbehauptung als Kleinstaat und damit unsere Souveränität nur im europäischen Verbund möglich.
Dieser Text ist als Gastkommentar im Bündner Tagblatt vom 27. März 2025 erschienen.