«Let’s drink to the hard working people, let’s drink to the salt of the earth», singt Mick Jagger in der legendären Working-Class-Hymne der Rolling Stones. Als agnostischer Mensch habe ich gewisse Hemmungen, Bibelzitate zu bemühen. Und doch finde ich: Jagger und die Stones haben recht.
Die hart arbeitenden Menschen schaffen die Werte unserer Wirtschaft. Sie sorgen für Fortschritt und Sicherheit in unserer Gesellschaft. Durch sie entstehen Würde und Zusammenhalt unter den Menschen.
Die Bähnlerinnen und Chauffeure, die Kindergärtner und Lehrerinnen, die Verkäuferinnen und Lageristen, die Elektroinstallateure und Polizistinnen, die Pflegerinnen und Bauarbeiter, die Sozialarbeiter und Sanitärinnen, die Köche und Apothekerinnen, die Sekretärinnen und Strassenkehrer – sie alle und viele mehr sorgen tagtäglich dafür, dass unser Leben funktioniert. Mit ihrer Erwerbsarbeit einerseits, mit unbezahlter Pflege-, Erziehungs- und Betreuungsarbeit andererseits. Sie sind tatsächlich das Salz der Erde – und das Fundament jeder Gesellschaft.
Denn wir wissen es eigentlich alle: Wenn für eine Woche alle CEOs, Verwaltungsrätinnen oder auch Regierungsrätinnen und Parlamentarier, Bundesrätinnen und Stadtpräsidenten ausfallen, passiert – nichts. Aber wenn für eine Woche alle Pflegerinnen oder Bähnler ausfallen – dann steht das Land still oder sogar am Abgrund.
Deshalb feiern wir die hart arbeitenden Menschen und ihre Arbeit jedes Jahr am Tag der Arbeit, am 1. Mai. Und an den übrigen 364 Tagen im Jahr setzen wir uns dafür ein, dass Arbeit endlich den Respekt bekommt, den sie verdient – mit Solidarität im Arbeitsleben, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft und in der Politik.
Ein Wort zur Politik: Bitte tut alles, damit Simon Stocker auch den dritten Wahlgang am 29. Juni gewinnt und wieder in den Ständerat gewählt wird. Wir brauchen Simon in Bern, die soziale Schweiz braucht Simon im Stöckli!
Wie ihr wisst, ist der 1. Mai der einzige wirklich globale Feiertag. Denn der Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter um Würde, Freiheit und Gerechtigkeit ist ein weltweiter – und zugleich ein Kampf für die Demokratie. Denn Demokratie ist weit mehr als ein politisches Verfahren. Sie ist die Idee einer Gesellschaft, in der alle Menschen frei und gleich sind. In der niemand wegen seines Berufs, Einkommens, Geschlechts, seiner sexuellen Orientierung, Herkunft, Religion oder Denkens weniger Rechte hat als andere. In der niemand über andere herrscht und niemand sich unterwerfen muss. In der kein König, kein Autokrat, keine Oligarchen und keine Milliardäre über das Leben der Menschen bestimmen.
Genau deshalb fürchten die Trumps, Putins, Xis, Erdogans, Orbans – aber auch die Musks, Bezos und Zuckerbergs – die Gewerkschaften und andere Demokratiebewegungen. Denn gemeinsamer Einsatz für gerechte Arbeitsbedingungen und für gleiche Rechte für alle – also gelebte Solidarität – entzieht ihrer Herrschaft und Hetze die Grundlage. Die Werte des 1. Mai sind das stärkste Schutzschild gegen Autokratie und Oligarchie und deshalb heute besonders wichtig.
Denn leider ist der Ernstfall eingetreten: Eine aggressive Grossmachtpolitik ist zurück. Und die Grossmächte dieser Welt arbeiten aktiv gegen Demokratie, Völkerrecht und Menschenrechte – nach innen genauso wie nach aussen.
China ist ein totalitärer Staat, der alles, jede und jeden überwacht und jeden Widerspruch brutal unterdrückt. Russland ist eine faschistische Gangsterdiktatur, die die demokratische Ukraine vernichten und die europäische Einigung zerschlagen will. Und unter Trump liegt nun auch die älteste Demokratie der Welt auf der Intensivstation. Seine permanente Lügenpropaganda, die tägliche Hetze, die Säuberungen in der Bundesverwaltung, die illegalen Massendeportationen, die Missachtung von Justiz und Gewaltenteilung, der rassistische und antifeministische Backlash, die Angriffe auf die freien Medien, die Wissenschaft, Andersdenkende und Minderheiten – sie zeigen die pure Zerstörungswut von Trump und seiner MAGA-Gefolgschaft.
Auch sein absurder Zollkrieg dient weniger wirtschaftlicher Logik als politischem Kalkül. Es wird zum Glück kaum erfolgreich sein, aber Trumps Ziel ist klar: Er will Handelspartner und amerikanische Wirtschaftsakteure gängeln und unterwerfen. Nur wer ihm Loyalität verspricht, darf auf Milde hoffen – das nennt er dann zynisch einen «Deal». Wer sich nicht beugen will, soll hingegen bluten. Diese Methode der wirtschaftlichen Erpressung ist altbekannt – die Mafia nennt das «Schutzgeld», Diktatoren wie Mussolini nannten es «Dirigismus».
Aber auch aussenpolitisch kennt Trump sprichwörtlich keine Grenzen. Genauso wie Xi Taiwan annektieren will, wie Putin die freie Ukraine bombardiert und sie als unabhängiger und demokratischer Staat beseitigen will, beansprucht Trump Panama, Grönland und Kanada für sich. Gaza will er ethnisch säubern lassen und dann eine amerikanische Riviera errichten. Und genau wie Putin will er die EU auseinanderdividieren.
Am schlimmsten aber ist eine Entscheidung Trumps, über die kaum gesprochen wird: die Abschaffung von USAID, der US-Entwicklungsagentur. Das wird Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen das Leben kosten. USAID stellte über 30% der weltweiten humanitären Hilfe bereit. Die Einstellung des Malariaprogramms allein wird laut Schätzungen bis zu 160’000 Menschen, vor allem Kinder, das Leben kosten. Ähnlich dramatisch sind die Folgen für HIV-Behandlungen oder Masernimpfungen. Das ist nicht nur menschenverachtend – das ist kriminell.
Und was macht die Schweizer Politik? Die SVP und FDP empören sich, wenn wir Trumps Politik als das bezeichnen, was sie ist: autoritär, imperialistisch, neofaschistisch. Zugleich biedert sich der Bundesrat in Washington an – und wird von Teilen der Medien auch noch dafür gefeiert. Die FDP fordert angesichts des Zollkriegs ein neoliberales Sparprogramm, die SVP übernimmt Trumps unmenschliche Migrationspolitik, seine Klimaleugnung, seine Verachtung für das Völkerrecht und seine Hetze gegen Europa.
Dagegen müssen wir Widerstand leisten. Auch hier in Schaffhausen und hier in der Schweiz. Gegen den kulturellen Backlash des Trumpismus. Gegen die prinzipienlose Politik des Bundesrats. Gegen den Sozialabbau. Gegen die Kürzung der Entwicklungszusammenarbeit. Gegen die Hetze gegen Migrant:innen.
Dabei wissen wir, was der wirkungsvollste Widerstand ist: solidarisches Engagement. Für eine soziale Schweiz, mit fairen Löhnen, guten Arbeitsbedingungen und gerechten Renten. Für einen starken Service public. Für bezahlbare Mieten und Krankenkassenprämien. Für echte Gleichstellung, eine gerechte Klimapolitik, eine zeitgemässe Familienpolitik. Für den Zusammenhalt in Europa und eine verlässliche Beziehung der Schweiz zur EU. Für eine Schweiz, die sich mit anderen Demokratien gegen den Imperialismus und für das Völkerrecht einsetzt. Für eine Schweiz, die die Werte des 1. Mai lebt und stark macht – jeden Tag.
Doch woher nehmen wir die Kraft für diesen Widerstand und die Hoffnung für dieses Engagement? Wie verzweifeln wir nicht angesichts der Weltlage?
Immer wenn ich selbst zweifle, denke ich an Yina.
Vor einem Jahr reiste ich mit Swissaid und Kolleg:innen aus dem Nationalrat nach Kolumbien. Obwohl das Land als «Post-Conflict» und «Middle-Income Country» gilt, sind Armut und Gewalt allgegenwärtig. Doch eine starke Zivilgesellschaft leistet Widerstand – für Frieden und soziale Gerechtigkeit.
Wir lernten Yina Ortega Benitez kennen, heute 27 Jahre alt. Sie ist eine indigene Aktivistin. Als Jugendliche musste sie ihr Dorf verlassen, weil ihr Zwangsprostitution oder Zwangsrekrutierung in eine bewaffnete Gruppe drohten. Dank Swissaid konnte sie studieren, hat heute eine gute Arbeit – und engagiert sich politisch und mit Jugendarbeit für den Frieden. In der Schweiz wäre sie wohl bei der JUSO. Aber während sich hiesige Jusos recht sicher politisch betätigen können, muss sich Yina immer wieder verstecken – ihr Leben ist tagtäglich bedroht. Die bewaffneten Gruppen wollen verhindern, dass sie weiteren Jugendlichen hilft, der Gewalt zu entkommen.
Doch Aufgeben ist für Yina keine Option. Nie. Mit Freund:innen kämpft sie weiter für Frieden und soziale Rechte. Ihre Organisation schreibt einen wundervollen Satz, den ich nie vergessen werde und der perfekt zum 1. Mai passt:
«Frieden ist nicht die Abwesenheit von bewaffnetem Konflikt – Frieden herrscht erst, wenn die Menschen ein Recht auf Bildung, auf gute Arbeit, auf Sicherheit und auf Entscheidungs- und Bewegungsfreiheit haben.»
Unsere Gedanken sind heute bei allen Yinas dieser Welt.
Freiheit, Frieden, Solidarität, Gerechtigkeit und Menschenrechte – das sind die Werte des 1. Mai, weltweit. Sie sind unsere Hoffnung für eine bessere Zukunft. Aber sie kommen nicht von allein. Wir müssen sie erkämpfen. Am 1. Mai – und an jedem anderen Tag.
Es lebe der 1. Mai – hoch die internationale Solidarität!