Der Weltklimarat spricht in seinem jüngsten Bericht Klartext. Eisschmelze, Meeresspiegelanstieg, Hitzewellen, Dürren und Starkniederschläge lassen sich noch sicherer vorhersagen als bisher. «Menschlicher Einfluss hat das Klima so aufgeheizt, wie es seit mindestens 2000 Jahren nicht mehr vorgekommen ist», heisst es im vorgestern publizierten Bericht. Und: «2019 war die CO2-Konzentration in der Atmosphäre höher als zu jedem anderen Zeitpunkt seit mindestens zwei Millionen Jahren.» Die Hitzewellen und Waldbrände in Nordamerika oder Südeuropa, die Extremniederschläge in Mitteleuropa inklusive tödlicher Flutkatastrophe in Deutschland sind also nicht Einzelereignisse, sondern die letzten Vorboten der nicht mehr bestreitbaren Klimakrise.
Die politische Antwort, wie das Klima stabilisiert und aus der Krise nicht eine dauerhafte Katastrophe wird, liegt eigentlich vor. 2015 hat sich die Welt mit dem Pariser Klimaabkommen darauf geeinigt, den Ausstoss von Treibhausgasen so zu reduzieren, dass der Temperaturanstieg auf 1,5°C begrenzt wird. Dies gilt auch für die Schweiz. Mit dem am 13. Juni abgelehnten CO2-Gesetz hätten wir die erste Etappe bis 2030 erfüllt. Persönlich steckt mir der Frust über diese Niederlage noch in den Knochen. Doch das ändert nichts daran, dass die Klimapolitik absolute Priorität haben muss. Dafür braucht es jetzt eine saubere Analyse und kluges Polithandwerk.
Nebst der Mobilisierung konservativer Kräfte durch die Agrarinitiativen gibt es zwei inhaltliche Gründe für die Ablehnung des Gesetzes. Erstens: Viele Menschen hatten das Gefühl, sie müssten sich einschränken, während man die grossen Fische nicht antastet. Zumindest in Bezug auf den Klimasünder Finanzplatz stimmte das. Zweitens: Die mögliche Verteuerung des Benzins und die Lenkungsabgaben auf Brennstoffe und Flugtickets wurden von vielen als Strafen empfunden, die wiederum nur die einfachen Leute treffen. Denn ob Benzin, Heizöl oder Flugtickets teurer werden, könne den Reichen ja egal sein. Dank der sehr sozialen Ausgestaltung der Abgaben-Rückerstattung stimmte diese Wahrnehmung zwar nicht. Doch das komplizierte Lenkungssystem drang im Abstimmungskampf nicht durch.
Darum braucht es jetzt eine Klimapolitik, die nicht nur gerecht ist, sondern auch so empfunden wird. Gerecht sind strikte Regeln für Finanzplatz und Industrie einerseits. Und massive öffentliche Investitionen für den ökologischen Umbau andererseits. Geschäfte von Schweizer Finanzakteuren mit Kohle, Öl oder Gas brauchen ein gesetzliches Ablaufdatum. Autoimporteure müssen rasch zur Elektrifizierung der gesamten Neuwagenflotte verpflichtet werden. Produktevorschriften sind schnell zu verschärfen. Gleichzeitig braucht es eine gross angelegte Solaroffensive und eine stärkere Förderung von Haussanierungen mit einem Zuschlag für Eigentümer, welche die Mieten nicht erhöhen. Für das Berggebiet und den ländlichen Raum braucht es zudem eine gezielte Förderung der Elektromobilität und einen punktuellen Ausbau des ÖV. Genauso wie eine Vergünstigung der ÖV-Tickets für Menschen, die auf ein Auto verzichten. Und: Europa muss die Eisenbahn ausbauen und Kurzstreckenflüge verbieten.
Es braucht Regeln für Konzerne und Angebote für die Bevölkerung. Nur so schaffen wir Mehrheiten und retten die Schweizer Klimapolitik.
Dieser Text ist am 10. August 2021 als Kolumne in der Südostschweiz erschienen.