Wir erleben die schwerste Energiekrise seit Jahrzehnten. Es droht eine Energiemangellage und die hohen Strompreise bringen Unternehmen und Haushalte in Bedrängnis. Auslöser ist Putins verbrecherischer Krieg. Um den westlichen Zusammenhalt und die Unterstützung für die Ukraine zu brechen, setzt der russische Diktator seinen Gashahn als Waffe gegen Europa ein.
Seit Jahrzehnten engagieren sich fortschrittliche Kräfte für einen raschen Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien. Schon 1982 fordert zum Beispiel die SP Schweiz in ihrem Parteiprogramm mehr Energieerzeugung durch Sonne, Wind, Erdwärme, Biogas, Holz und Wasserkraft, um parallel aus Öl, Gas und Atom aussteigen zu können. Diese Energiewende war und ist für den Klimaschutz unerlässlich. Und sie war und ist notwendig, um uns von der Abhängigkeit von despotischen Regimes zu befreien.
Leider wurde diese weitsichtige Strategie in den vergangenen vierzig Jahren von denjenigen Kräften hintertrieben, die den Klimawandel leugneten oder der mächtigen Öl- und Gas-Lobby auf den Leim gingen. Im Parlament blockierte eine Koalition aus SVP, FDP und Teilen der ehemaligen CVP jahrelang die nötige Wende. Hätten sich die SP und ihre Verbündeten durchgesetzt, wären wir heute praktisch immun gegen Putins Aggression.
Auch die Atomlobby hat die notwendige Transformation gebremst. Erst die Katastrophe in Fukushima brachte eine politische Kurskorrektur. Klar, kurzfristig brauchen wir die bestehenden Atomkraftwerke noch. Aber für die Zukunft ist die Atomkraft keine Option. Sie bleibt ein Grossrisiko und das Atommüllproblem ist nach wie vor ungelöst. Die Tatsache, dass momentan 24 der 56 französischen Atomreaktoren stillstehen, zeigt, welches Klumpenrisiko diese Technologie auch für die Versorgungssicherheit darstellt.
Die einzige zukunftsfähige Option ist die Energiewende: mehr Energieeffizienz und ein schneller Ausbau der erneuerbaren Energien. Insbesondere der Sonnenenergie, wo das Potential mit Abstand am grössten ist. Wegen der akuten Energiekrise begreifen das in Bern nun auch Bürgerliche, die bis vor kurzem skeptisch waren. Diese späte Einsicht ist nötig und erfreulich!
Verwerflich ist hingegen, wenn zum Beispiel die SVP, die für die Verspätung der Energiewende hauptsächlich verantwortlich ist, nun Sündenböcke vorschiebt. Bundesrätin Simonetta Sommaruga oder Linke und Grüne sollen Schuld daran haben, dass wir noch nicht genug Sonnen- oder Windstrom produzieren. Dabei hat die SVP zusammen mit bürgerlichen Verbündeten über Jahre den Zubau von erneuerbaren Energien verhindert. Zum Beispiel indem die Beiträge für Photovoltaikanlagen gedeckelt, die Kostendeckende Einspeisevergütung befristet und jegliche Solardachpflicht verhindert wurden. Im Vergleich dazu sind ein paar Einsprachen der Umweltschutzorganisationen ein Klacks, zumal diese gar nicht unbedingt dem linken Lager zugeordnet werden können. Präsident der kritischen Stiftung Landschaftsschutz ist zum Beispiel FDP-Nationalrat Kurt Fluri.
Unser Land braucht rasch eine umfassende Energiewende. Alle müssen mithelfen und Kompromisse eingehen. Was wir definitiv nicht brauchen, ist eine Sündenbockpolitik derjenigen, die die Energiewende viel zu lange gebremst haben.
Dieser Text ist am 3. November 2022 als Gastkommentar im Bündner Tagblatt erschienen.