Seit Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten ist, steckt das Land in einer politischen Dauerkrise. Trumps Lügen, seine Korruption, der Sexismus und der Rassismus sowie seine Angriffe auf Rechtsstaat und Demokratie stehen für den Niedergang Amerikas. Trump hat die ohnehin schon polarisierte Gesellschaft definitiv zerrüttet. Das Ausmass der sozialen Ungleichheit ist dramatisch und brutale Diskriminierungen von Schwarzen, Latinos und anderen Minderheiten prägen den Alltag. Konstruktive Auseinandersetzung zwischen Konservativen und Progressiven sind praktisch unmöglich. Wut und Hass dominieren den öffentlichen Diskurs. Die Welt erlebt den amerikanischen Albtraum.
Diesseits des Atlantiks waren wir von Anfang an besorgt. Aber allmählich machte sich Abstumpfung breit. Das ist brandgefährlich. Denn Trump und seine Fans konstruieren «alternative Fakten» und schaffen so ideologische Parallelwelten, in die auch europäische Nationalisten gerne hinabsteigen. Für die Salvinis, Le Pens, Straches, Höckes und Köppels ist Trump ein Vorbild. Denn er hat vorgemacht, wie man als demokratisch gewählter Amtsträger die Macht dazu missbrauchen kann, demokratische Institutionen auszuhöhlen.
Irreparabel sind wohl die Schäden, die Trump seiner eigenen Partei zugefügt hat. Die ehemalige «Grand Old Party» hat bei diesen Kongresswahlen offiziell den politischen Inhalt abgeschafft. Zum ersten Mal seit 1856 (!) haben die Republikaner darauf verzichtet, ein Wahlprogramm zu verabschieden. Stattdessen wurde vom Parteitag ein einziger Satz beschlossen: «Die Republikanische Partei hat bis anhin und wird auch künftig die America-First-Agenda des Präsidenten mit Begeisterung unterstützen.» Konkrete Politik wurde durch nationalistischen Führerkult ersetzt.
Barack Obama hat nicht übertrieben, als er im August sagte, bei dieser Wahl gehe es um das Überleben der amerikanischen Demokratie. Den Beweis dafür hat Trump in den Tagen nach der Wahl erbracht. Indem er sich zum Sieger erklärte, bevor die Stimmen ausgezählt waren. Oder indem er mit haltlosen Betrugsvorwürfen die Wahlen delegitimiert und so sein Land ins Chaos zu stürzen versucht. Dieser Präsident greift mutwillig und frontal den Kern der Demokratie an.
Trumps Umgang mit der Pandemie hat zudem gezeigt, wie inkompetent und zugleich zynisch er ist. Statt seine Bevölkerung zu schützen, hat Trump das Virus verharmlost, sich über gesundheitliche Massnahmen lustig gemacht, Grossveranstaltungen ohne Schutzkonzept durchgeführt und am letzten Tag vor den Wahlen auch noch damit gedroht, den renommierten Gesundheitsexperten Anthony Fauci zu entlassen. Bald werden 250’000 Amerikanerinnen und Amerikaner an Covid19 gestorben sein. Hätte die Trump-Administration ebenso schnell und kompetent auf die Pandemie reagiert, wie zum Beispiel die deutsche Regierung, wären Stand heute deutlich über 100’000 amerikanische Tote weniger zu beklagen. Doch statt gegen die Pandemie vorzugehen, versuchen Trumps Republikaner, die von Präsident Obama eingeführte Krankenversicherung über die Justiz abzuschaffen. Mehr Zynismus und Politikversagen kann man sich nicht vorstellen.
«Die Geschichte ist ein Albtraum, aus dem ich zu erwachen suche», hat James Joyce eine Hauptfigur seines Ulysses sagen lassen. Joe Biden und Kamala Harris werden am 20. Januar 2021 ins Weissen Haus einziehen und dort vor enormen Herausforderungen stehen. Sie werden sofort überzeugende Antworten auf die Pandemie, die Rezession, die Klimakrise und die Spaltung der Gesellschaft finden müssen. Ein Erfolg ist überhaupt nicht garantiert. Doch ab dem 20. Januar Tag dürfen wir wieder mit etwas Hoffnung nach Amerika blicken. An diesem Tag können wir endlich aus dem amerikanischen Albtraum erwachen.