Die Schweiz hat eines der besten Gesundheitssysteme. Aber auch eines der teuersten der Welt. Jährlich werden über 80 Milliarden Franken darin umgesetzt, rund 12 Prozent unserer gesamten Wirtschaftsleistung. Grundsätzlich ist das ein gutes Zeichen. Wir leben länger und oft besser, haben Zugang zu modernsten Therapien und Medikamenten, das medizinische Fachpersonal ist bestens qualifiziert (wenn auch im Fall der Pflege unterbezahlt!) und unsere Spitäler wirken in vielen Fällen fast wie schöne Hotels. Zudem ist eine Volkswirtschaft sympathischer, die eine Verbesserung der Gesundheit anstrebt statt einer Aufblähung des Finanzsektors oder den Ausbau der Rüstungsindustrie.
Natürlich gibt es auch im Gesundheitswesen Sparpotenzial. Handlungsbedarf besteht bei den überhöhten Medikamentenpreisen, den übertriebenen Tarifen gewisser Spezialisten, den hohen Verwaltungskosten der Krankenversicherungen oder bei den oft dysfunktionalen marktwirtschaftlichen Anreizen.
Trotzdem sind nicht die Gesamtkosten unseres Gesundheitswesens das Hauptproblem, sondern deren Verteilung. Denn sowohl die zu hohen Prämien als auch die selbst zu tragenden Zahlungen zum Beispiel für Franchisen, Selbstbehalte, Medikamente oder Zahnbehandlungen sind für immer mehr Haushalte kaum noch zu tragen. In keinem anderen OECD-Land sind die Eigenleistungen der Bürgerinnen und Bürger höher. Diese individuellen Gesundheitskosten sind neben den Mieten die grössten Kaufkraftfresser für die Schweizer Mittelschicht.
Hier muss die «Berner Politik» ansetzen, wenn sie auf der Seite der Bevölkerung stehen will. Und zwar nicht, indem sie Leistungen kürzt und so noch stärker in Richtung Zweiklassenmedizin steuert. Schon heute verzichten gemäss Erhebung des Schweizer Gesundheitsobservatoriums rund 11 Prozent der Bevölkerung aus Kostengründen auf einen Arztbesuch, obwohl dieser medizinisch sinnvoll wäre. Ein beschämender Befund für die Schweiz!
Was die Politik dringend angehen muss, ist eine sozialere Finanzierung des Systems. Trotz (zu) bescheidener Prämienverbilligung ist die Belastung für viele Familien sehr hoch. Im Durchschnitt müssen Mittelschichtsfamilien rund 15 Prozent des Haushaltseinkommens für Standardprämien bezahlen. Angesichts der aktuellen Inflation und der erneuten Prämienexplosion wird sich diese unhaltbare Situation im nächsten Jahr noch verschärfen. Der Kaufkraftverlust führt auch dazu, dass Menschen mit wenig Geld noch öfter auf Arztbesuche verzichten und so auch noch mit ihrer Gesundheit bezahlen. Das ist nicht akzeptabel.
Darum hat die SP schon 2019 die Prämien-Entlastungs-Initiative lanciert, die aktuell im Parlament behandelt wird. Sie verpflichtet Kantone und Bund, die Prämienverbilligungen so auszubauen, dass kein Haushalt mehr als 10 Prozent seines verfügbaren Einkommens für die Krankenkassenprämien bezahlen muss. Der Nationalrat hat den Handlungsbedarf erkannt und beantragt einen substanziellen Gegenvorschlag, der die Bevölkerung um Milliarden pro Jahr entlasten würde. Es liegt nun am Ständerat, die Bedürfnisse unserer Mittelschicht anzuerkennen. Tut er es nicht, wird das Volk an der Urne für Entlastung sorgen. Denn beste Gesundheit muss in der reichen Schweiz für alle erschwinglich sein.
Dieser Text ist am 26. Oktober 2022 als Kolumne in der Südostschweiz erschienen.