Der New Yorker Verkehrsexperte Lewis Mumford wusste schon vor 70 Jahren: Mehr Strassen bauen ist wie «seinen Hosengürtel öffnen, um Übergewicht loszuwerden». Wer die Strassen ausbaut, schafft mehr Verkehr. Das ist wissenschaftlich belegt. In der Fachsprache heisst das Phänomen «induzierte Nachfrage». Eine Vergrösserung des Angebots führt dazu, dass dieses stärker genutzt wird als vorher – sodass die erweiterten Kapazitäten der grösseren Nachfrage schon bald wieder nicht mehr gewachsen sind.

Die Schweizer Bevölkerung wusste das schon 1994. Damals nahm sie gegen den Willen von Bundesrat und Parlament die Alpeninitiative an und verbot so den Ausbau der Transitstrassen-Kapazitäten in den Schweizer Alpen. Die Mechanismen am Gotthard und am San Bernardino sind die gleichen wie am Gubrist und am Baregg. Wir alle können sie beobachten: Zusätzliche Spuren verschieben den Stau kurzfristig zu neuen Engpässen und ziehen mittelfristig noch mehr Autos und Lastwagen an. Das Problem wird verschärft statt gemildert.

Umso unverständlicher ist, dass Bundesrat Albert Rösti einen rund fünf Milliarden Franken teuren Ausbau des Nationalstrassennetzes in den Regionen Bern, St. Gallen, Basel, Schaffhausen und Genfersee propagiert. Glaubt er der Wissenschaft nicht? Verstehen er und die anderen Anhänger dieser Vorlage das Prinzip der induzierten Nachfrage nicht? Oder ist die Strassenlobby einfach so mächtig, dass die Mehrheit der Berner Politik Fachargumente in den Wind schlägt? Auf jeden Fall nimmt sie in Kauf, dass noch mehr Verkehr und Lärm unsere Dörfer und Quartiere belasten.

Auch klimapolitisch steht der Autobahnausbau völlig quer in der Landschaft. Mit der deutlichen Annahme des Klimaschutzgesetzes durch das Volk im Juni 2023 hat sich unser Land verpflichtet, die Emissionen des Verkehrs bis 2040 um 57 Prozent und bis 2050 um 100 Prozent zu reduzieren. Der Autobahnausbau und der damit verbundene Mehrverkehr stehen im kompletten Widerspruch zu diesen Zielwerten und würden deren Erreichung erschweren. Sogar der Bundesrat gibt in seinem Bericht zu, dass der Autobahnausbau die klimaschädlichen CO₂-Emissionen erhöhen würde. Dabei ist der Verkehr schon heute für einen Drittel der Emissionen in der Schweiz verantwortlich!

Mit einem Nein am 24. November können wir diesen Unsinn stoppen. Im Interesse unserer Lebensqualität, des haushälterischen Umgangs mit unserem Boden und des Klimaschutzes sollten wir dies unbedingt tun. Nur ein Nein bietet die Chance für eine Neuausrichtung der Verkehrspolitik.

Es liegt im Interesse aller, gerade auch derjenigen, die täglich auf das Auto angewiesen sind, dass der Anteil des Autoverkehrs reduziert und mehr Mobilität auf den ÖV für längere und auf das Velo für kürzere Strecken verlagert wird. Um die vorhandenen grossen Strassenkapazitäten optimal zu nutzen und Staus zu vermeiden, sind die Verkehrsspitzen zu brechen. Ein effizientes und intelligentes System der Verkehrssteuerung sowie eine moderne Arbeitsorganisation mit flexibleren Arbeitszeiten können dabei helfen. Nutzen wir also die Chancen der Digitalisierung statt noch mehr teure Autobahnen zu bauen, die nur noch mehr Verkehr generieren.

Dieser Text ist am 30. Oktober 2024 als Kolumne in der Südostschweiz erschienen.

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