Anfangs April durfte ich mit sechs Kolleginnen und Kollegen aus dem Nationalrat an einer Informationsreise des Hilfswerks Swissaid in Kolumbien teilnehmen. Swissaid und die Schweiz unterstützen den kolumbianischen Friedensprozess, die sogenannte «Paz Total».

Mit Fabian Molina und Jon Pult begrüssen wir den kolumbianischen Aussenminister Luis Gilberto Murillo. Bild: Kolumbianische Staatskanzlei.

Vom 1. bis zum 6. April bereiste unsere Delegation die kolumbianische Hauptstadt Bogotá und das sehr arme Departement Sucre an der Karibikküste. Die Delegation wurde von Swissaid-Co-Präsident und Nationalrat Fabian Molina (SP) geleitet. Es gehörten ihr die Nationalrätinnen und Nationalräte Corina Gredig (GLP), Marc Jost (EVP), Martina Munz (SP), Pierre-André Page (SVP), Benjamin Roduit (Mitte) und meine Person an. Organisiert wurde die Reise vom äusserst kompetenten kolumbianischen Swissaid-Team, das uns genauso wie Swissaid-Geschäftsführer Markus Allemann, Mediensprecherin Thaïs In der Smitten und Geschäftsleiter von Alliance Sud, Andreas Missbach, begleitete. Für die Kosten der Reise kam jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer selbst auf.

Die Delegation mit Benjamin Roduit, Fabian Molina, Pierre-André Page, Martina Munz, Corina Gredig, Jon Pult, Marc Jost (v.l.n.r.). Bild: Luis Guzman SWISSAID.

Land der Gegensätze

Kolumbien ist ein Land der krassen wirtschaftlichen und sozialen Gegensätze. Einerseits erlebten wir in Bogotá einen grossen Wohlstand und eine friedliche Stimmung, von der Gewalt der Vergangenheit findet sich zumindest im Zentrum keine Spur. Wir trafen viele engagierte, hoch qualifizierte Menschen, die mit einem beeindruckenden Optimismus daran arbeiten, ihr Land voranzubringen. Die Fortschritte sind offenkundig, was auch von niemandem infrage gestellt wird.

Andererseits gibt es in ländlichen Regionen immer noch sehr viele Menschen, die auf direkte humanitäre Hilfe angewiesen sind. Im Gespräch mit dem IKRK-Chef in Kolumbien, Lorenzo Caraffi, lernten wir, dass die Gewalt in einigen ländlichen Regionen wieder zunimmt. Die Wahrnehmung in Europa, wonach Kolumbien mittlerweile ein «Post-Conflict» und ein «Middle-Income Country» sei, stimme zwar für die Hauptstadtregion und für andere entwickelte Gebiete, aber nicht für ganz Kolumbien. Die Armut eines grossen Teils der Landbevölkerung wurde für uns sichtbar, als wir die Projekte von Swissaid im Departement Sucre besuchten. Dort erfuhren wir auch von der Gewalt als alltägliche Realität. In der Kleinstadt Morroa mit ihren rund 30 000 Einwohnerinnen und Einwohnern gibt es statistisch jeden Tag einen Mord.

Der steinige Weg zum Frieden

Dabei gab und gibt es viel Hoffnung. 2016 schloss die kolumbianische Regierung des damaligen Präsidenten Juan Manuel Santos ein umfassendes Friedensabkommen mit der grössten Guerilla-Organisation FARC ab. Das war und ist ein historischer Durchbruch, hatte dieser Konflikt doch 52 Jahre gedauert und Hunderttausende Menschenleben gekostet. Die FARC legte mit dem Abkommen die Waffen nieder und wandelte sich in eine legale politische Partei um. Nicht umsonst erhielt Präsident Santos dafür den Friedensnobelpreis. Leider gelang es der Nachfolgeregierung von Präsident Iván Duque nicht, der verarmten ländlichen Bevölkerung in den ehemaligen FARC-Gebieten eine Perspektive zu bieten. Dies lag wohl am fehlenden Willen, war doch Präsident Duque ein erklärter Gegner des Friedensabkommens. Wegen der friedenspolitischen Untätigkeit seiner Regierung traten anstelle der FARC andere Guerilla-, paramilitärische oder schlicht kriminelle Gruppen, welche Teile des Landes bis heute kontrollieren und unsicher machen.

Seit 2022 ist die Regierung von Präsident Gustavo Petro im Amt – die erste links-progressive Regierung in der Geschichte Kolumbiens. Ihre Priorität liegt auf der nachhaltigen Lösung aller anhaltenden Konflikte im Rahmen einer umfassenden Friedenspolitik, der «Paz Total». Diese Politik will das Friedensabkommen von 2016 vollständig umsetzen, was auch eine Landreform und damit Gerechtigkeit für die ländliche Bevölkerung bedeuten würde. Zudem will die Regierung mit allen noch bestehenden bewaffneten Gruppen einen Frieden aushandeln und dank Strukturreformen in der Drogen-, Sozial-, Umwelt- und Sicherheitspolitik die Lebensbedingungen der Menschen so verbessern, dass es keinen Nährboden für die Gewalt gibt. Ob all die hochgesteckten Ziele erreicht werden, ist zweifelhaft. Die den Grossgrundbesitzenden nahestehende Opposition hat eine Mehrheit im Kongress und nicht alle Mitglieder und Beamten der Regierung Petro bringen die nötigen Erfahrungen und Kompetenzen mit. Nach zwei Jahren im Amt leidet die Regierung an einem Popularitätstief. Trotzdem ist unbestritten, dass sie neue Akzente für Kolumbien setzt.

Der Schweizer Botschafter Eric Mayoraz und sein Team engagieren sich im Namen der Schweiz für die Unterstützung des kolumbianischen Friedensprozesses. Ausgestattet mit einem offiziellen Mandat der Verhandlungsparteien fördert die Schweiz die Friedensgespräche der Regierung mit verschiedenen Guerillagruppen als Garanten- und als Begleitstaat. Nebst dieser Rolle als Vermittlerin engagiert sich die Schweiz auch mit Projekten zur politischen Mitwirkung der Bevölkerung und zur Versöhnungsarbeit. Dass dieses Engagement der Schweiz sehr geschätzt wird, konnten wir an einem Treffen mit dem Aussenminister Kolumbiens erfahren. Minister Luis Gilberto Murillo betonte, wie wichtig es sei, dass sich die Schweiz als Mitglied im UN-Sicherheitsrat so stark für den Frieden in Kolumbien engagiere. Damit übernehme unser Land eine Art Scharnierfunktion zwischen dem UN-Sicherheitsrat und den Friedensverhandlungen vor Ort. Dafür sei Kolumbien sehr dankbar.

Die Delegation besucht Landwirtschaftsprojekte im Departement Sucre. Bild: Estefania Contreras SWISSAID.

Bauern ohne Landrecht

Über schwer befahrbare Naturstrassen gelangte unsere Delegation zu den Bauern Arcelio und Jorge Monterroza. In der drückenden Hitze des tropischen Trockenwalds im Departement Sucre bestellen sie seit Jahrzehnten ein Land, das ihnen zwar faktisch, aber nicht formell gehört. Sie haben schlicht keine verbrieften Rechte dafür. Dies verunmöglicht ihnen den Zugang zu staatlicher Unterstützung und belässt sie in einer frustrierenden Rechtsunsicherheit. Die Mehrheit der Kleinbauern Kolumbiens hat das gleiche Problem. Und die Prozeduren, um die Landrechte verbriefen zu lassen, sind extrem langwierig, obwohl eine gerechte Verteilung des Landes eigentlich erklärtes Ziel der Regierung ist.

Swissaid unterstützt diese und viele andere Kleinbauern bei ihren administrativen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Indem sie im biologischen Landbau angeleitet werden, können sie ihre Familien trotz des Klimawandels sicher ernähren und machen ihre Böden widerstandsfähiger. Tatsächlich ist die Vegetation auf dem Boden der Monterrozas vielfältiger als auf dem Land des Nachbars, der sich nicht am agroökologischen Projekt von Swiss-aid beteiligt, wie die herzlichen Bauern stolz anmerkten.

Bauer Arcelio Monterroza mit den Nationalräten Benjamin Roduit (Mitte) und Pierre-André Page (SVP) im Hintergrund (v.l.n.r.). Bild: Estefania Contreras SWISSAID.

Engagierte Jugend

In der Stadt Sincelejo im Departement Sucre machte unsere Delegation Bekanntschaft mit Aktivistinnen und Aktivisten der Jugendplattform «Agenda Caribe. Paz con Juventud» (Karibische Agenda. Frieden mit der Jugend). Mit Unterstützung von Swissaid setzen sie sich im Rahmen der «Paz Total» für die Rechte der Jugendlichen, für Bildung und für Teilhabe ein – und riskieren dabei ihr Leben.

Die 26-jährige indigene Yina Ortega Benitez hat als Jugendliche ihr Heimatdorf verlassen, weil ihr dort die Zwangsprostitution oder die Zwangsrekrutierung durch eine bewaffnete Gruppe gedroht hätte. Dank Swissaid konnte sie studieren und arbeitet heute als Sozialarbeiterin. Yina wurde sogar als Gemeinderätin von Palmito gewählt und stand zeitweise unter Polizeischutz oder versteckte sich im Bedrohungsfall bei Freunden. Doch Aufgeben ist für die junge Frau keine Option, sie will mit ihren Freundinnen und Freunden weiter für den Frieden und für die Rechte der Jugend kämpfen. Dabei hat die Plattform eine klare Vorstellung für ihre Aufklärungs- und Organisationsarbeit: «Frieden ist nicht die Abwesenheit von bewaffnetem Konflikt – Frieden herrscht erst, wenn die Menschen wieder ein Recht auf Bildung, Sicherheit und Entscheidungs- und Bewegungsfreiheit haben.»

Friedens- und Jugendaktivistin Yina Ortega Benitez. Bild: Yina Ortega.

Mehr, nicht weniger Zusammenarbeit

Vom gewieften Aussenminister Luis Gilberto Murillo über die zähen Kleinbauern Arcelio und Jorge Monterroza bis zur inspirierenden Jugendaktivistin Yina Ortega Benitez – diese Begegnungen und viele mehr haben alle Mitglieder unserer Delegation schwer beeindruckt. Natürlich stehen noch riesige politische und wirtschaftliche Hindernisse auf dem Weg Kolumbiens zur «Paz Total». Aber die lebendige kolumbianische Zivilgesellschaft mit ihren fantastischen Menschen ist eine enorme Ressource und Hoffnungsträgerin für dieses Unterfangen.

Die Schweiz leistet einen wichtigen Beitrag zum Frieden und hat einen ausgezeichneten Ruf in Kolumbien. Dazu trägt mit Sicherheit auch die wertvolle Arbeit von Swissaid bei, die ganz konkrete Perspektiven für die Kleinbauern schafft und den Aufbau der so wichtigen gesellschaftlichen Netzwerke gegen Gewalt und für die Rechte der Frauen und der Jugend ermöglicht.

Diese Reise bestätigt meine Überzeugung, dass eine engagierte Schweizer Aussenpolitik mit Schwerpunkten bei der Friedensförderung und der nachhaltigen Entwicklung wirklich einen Unterschied macht – und im Interesse unseres Landes liegt. Umso unverständlicher ist es, dass sich der Bundesrat bei der Entwicklungszusammenarbeit aus Südamerika verabschieden und allgemein in diesem Bereich massiv sparen will. Wir brauchen in einer gefährlicher werdenden Welt mehr, nicht weniger internationale Zusammenarbeit. Die Schweiz kann und muss sich das leisten.

Dieser Text ist am 29. April 2024 als Gastbeitrag im „Bündner Tagblatt“ erschienen.

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