Sehr geehrter Herr Präsident, geschätzte Mitglieder der Rechtskommission,
vielen Dank für die Möglichkeit, meine Parlamentarische Initiative zu präsentieren. Ihr Inhalt ist einfach und klar: Allen Schweizer Bürgerinnen und Bürgern, die in der Ukraine gegen die völkerrechtswidrige russische Aggression kämpfen, soll eine Amnestie gewährt werden. Diese Amnestie betrifft ausschliesslich Verstösse gegen Artikel 94 des Militärstrafgesetzes, der den Eintritt in fremden Militärdienst unter Strafe stellt. Für etwaige andere Straftaten, die im Rahmen des Krieges in der Ukraine begangen würden, gilt die Amnestie selbstverständlich nicht.
Zum Formellen
Die Kompetenz zur Gewährung von Amnestien liegt bei der Bundesversammlung. Diese Zuständigkeit ist eindeutig in Artikel 173 Absatz 1 lit. k der Bundesverfassung sowie in Artikel 232e des Militärstrafgesetzes verankert.
Laut dem St. Galler Kommentar zur Bundesverfassung bedeutet Amnestie: «(…) den Verzicht des Staates auf Strafverfolgung oder Strafvollzug gegenüber einer bestimmten oder unbestimmten Vielzahl von Delinquenten, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen. (…) Anders als etwa das französische Recht hat sie (die Amnestie) jedoch nicht die Aufhebung oder Löschung begangener Delikte zur Folge. Die Amnestie ist der Sache nach ein ‘kollektives Verzeihen’ im Interesse des Staates.»
Es geht also nicht um die Aufhebung von Urteilen, sondern um den Verzicht auf Strafverfolgung und Strafvollzug. Es geht darum, den Schweizer Ukrainekämpferinnen und -kämpfern «kollektiv zu verzeihen.»
Zum öffentlichen Interesse
Die zentrale Frage ist nun: Liegt dieses kollektive Verzeihen im öffentlichen Interesse der Schweiz? Ich meine klar ja.
Schweizerinnen und Schweizer, die in der Ukraine, beispielsweise in der Internationalen Legion der Territorialverteidigung, gegen die russische Aggression kämpfen, verteidigen natürlich in erster Linie das Territorium und die Bevölkerung der Ukraine.
Auf einer übergeordneten Ebene verteidigen sie jedoch auch zentrale Werte und Grundsätze des Völkerrechts sowie des Schweizer Staates: Freiheit, Demokratie, Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität.
Die Grundsätze der Souveränität und der territorialen Integrität sind völkerrechtlich in der UNO-Charta und in der Schlussakte von Helsinki verankert, welche als eine Art Gründungsurkunde der OSZE gilt. Angesichts der Tatsache, dass die Schweiz soeben zwei Jahre im Sicherheitsrat der UNO vertreten war und ab nächstem Jahr die OSZE präsidieren wird, sind die Grundsätze von UNO und OSZE von grosser aussenpolitischer Bedeutung für die Schweiz und entsprechen damit einem hohen öffentlichen Interesse unseres Landes.
Freiheit, Demokratie und Unabhängigkeit ihrerseits sind Staatsziele der Schweiz, die im Zweckartikel 2 Absatz 1 der Bundesverfassung mindestens sinngemäss festgeschrieben sind.
Wenn wir die UNO-Charta, die Schlussakte von Helsinki und die Bundesverfassung konsultieren und gleichzeitig bedenken, dass die Ukraine einen legitimen Verteidigungskampf führt – während Russland eine illegale Aggression verübt! – stellen wir fest, dass der Kampf einzelner Schweizerinnen und Schweizer in der Verteidigung der Ukraine mit den Werten der Schweiz vereinbar ist.
Daher besteht aus meiner Sicht ein öffentliches Interesse daran, diese Schweizerinnen und Schweizer nicht dafür zu bestrafen. Obwohl es formell offenkundig ist, dass sie das Gesetz brechen.
Zur Neutralität
Die Neutralität ist kein Staatsziel der Schweiz. Der Verfassungsgeber hat bewusst auf eine Verankerung der Neutralität im Zweckartikel 2 oder in den aussenpolitischen Grundsätzen in Artikel 54 verzichtet.
Die Grundlage des Neutralitätsrechts ist also nicht die Bundesverfassung, sondern das Haager Abkommen von 1907. Die dort verankerten Pflichten der «neutralen Macht» gelten für den Staat, nicht für die individuelle Entscheidung einer Bürgerin oder eines Bürgers. Das Neutralitätsrecht verpflichtet den Staat auch nicht, seine eigenen Bürgerinnen und Bürger zu bestrafen, wenn diese in fremden Militärdienst eintreten.
Dies wird durch das Recht und die Praxis anderer neutraler Staaten belegt: So kennen etwa Österreich und Irland kein generelles Verbot für den Eintritt in fremden Militärdienst, obwohl sie genau wie die Schweiz neutrale Staaten sind. Auch Schweden und Finnland – die bis vor kurzem selbst als neutral galten – bestrafen seit jeher fremden Militärdienst nicht.
Artikel 6 des Haager Abkommens besagt sogar explizit: «Eine neutrale Macht ist nicht dafür verantwortlich, dass Einzelpersonen die Grenze überschreiten, um in den Dienst eines Kriegsführenden zu treten.»
Die Frage, ob die Schweiz einzelne Bürgerinnen und Bürger für den Eintritt in einen fremden Militärdienst bestraft oder nicht, ist somit keine neutralitätsrechtliche und keine völkerrechtliche Frage. Es handelt sich hierbei um eine innere Angelegenheit des Schweizer Rechtsstaates, die in voller Eigenständigkeit entschieden werden kann.
Akt der Gerechtigkeit
Abschliessend möchte ich nochmals betonen: Eine Amnestie für die Schweizer Ukrainekämpferinnen und -kämpfer legalisiert nicht ihr Handeln. Sie führt lediglich zu einem Verzicht auf Verfolgung und Bestrafung durch die Schweizer Militärjustiz aufgrund ihres Eintritts in den Militärdienst für die Ukraine.
Dies unterscheidet meine Parlamentarische Initiative von den anderen Initiativen, die Sie heute behandeln. Diese fordern Rehabilitierungen, nicht Amnestien. Ebenso unterscheidet sich meine Initiative vom Beschluss unseres Parlaments bezüglich der Spanienkämpferinnen und -kämpfern der 1930er Jahre. Diese wurden 2009 – ich meine zu Recht – rehabilitiert.
Rehabilitierung bedeutet, dass vergangene Verurteilungen aufgehoben werden. Amnestie bedeutet, dass in der Gegenwart auf Verfolgung und Bestrafung verzichtet wird.
Die Spanienkämpferinnen und -kämpfer baten 1939 um eine Amnestie. Sie erhielten jedoch keine und mussten zum Teil harte Strafen verbüssen. Erst 70 Jahre später, als viele von ihnen bereits verstorben waren, erfolgte die Rehabilitierung. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie, heute nicht denselben Fehler zu wiederholen.
Wir können und und wir sollten den Ukrainekämpferinnen und -kämpfern im Hier und Jetzt «kollektiv verzeihen», wie es im Kommentar zu unserer Verfassung so schön steht. Wir können und wir sollten auf eine Bestrafung dieser Bürgerinnen und Bürger verzichten. Es wäre ein Akt der Gerechtigkeit. Denn sie riskieren ihr Leben für schweizerische, europäische und demokratische Werte.
Diesen Text habe ich in leicht veränderter Form am 14. Februar 2025 als Votum vor der Rechtskommission des Nationalrates gehalten.