In der Familienpolitik ist die Schweiz im europäischen Vergleich grausam im Rückstand. Die externen Betreuungskosten sind für Familien überdurchschnittlich hoch, in vielen ländlichen Regionen fehlen immer noch die Betreuungsangebote und der gesetzliche Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen ist viel zu kurz. Vom nicht vorhandenen Vaterschaftsurlaub wollen wir gar nicht sprechen. Dass der Ständerat sich nun durchgerungen hat, einen Mini-Vaterschaftsurlaub von zwei Wochen zu gewähren und dies in den Medien als Durchbruch gefeiert wird, zeigt, wie rückschrittlich die bürgerliche Mehrheit denkt und handelt, wenn es um die Familie geht. 

Dieser Rückstand ist übrigens einer der wichtigsten Gründe für die Ungleichheit zwischen Frau und Mann bei Löhnen und Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Zu Recht sind am 14. Juni hunderttausende Frauen und einige solidarische Männer gegen diese Ungerechtigkeit auf die Strasse gegangen. Nun muss diese Energie möglichst rasch in politische Veränderung umgemünzt werden. 

Dabei müssen wir Klartext reden. Gerade auch gegenüber denjenigen Wölfen (und leider auch Wölfinnen) im Schafspelz, die sich «liberal» geben und daraus eine bremsende Haltung in der Familienpolitik ableiten. In einer liberalen Gesellschaft sollen Familien selber entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten. Der Staat soll sich heraushalten. Das sagen Konservative, die sich als Liberale tarnen und so versuchen, eine fortschrittliche Familienpolitik zu verhindern. Dabei ist die propagierte Entscheidungsfreiheit heute eben nicht gegeben!

Ohne gemeinsame Elternzeit, mit den viel zu hohen Betreuungskosten und der immer noch stossenden Lohnungleichheit arbeiten am Schluss in zu vielen Fällen Väter Vollzeit und Mütter Teilzeit. Ob sie das nun ursprünglich gewollt haben oder nicht. Im Mutterschaftsurlaub, den die Frau weitgehend alleine verbringt, verfestigen sich herkömmliche Muster. Die Mutter wird zur Erziehungsexpertin, der Vater bleibt familiäre Hilfskraft. Dies führt wiederum dazu, dass der Arbeitsmarkt Frauen benachteiligt, was eine Grundlage für Lohnungleichheit ist. Und so werden auch Familien, die sich vorgenommen haben, eine gleichberechtigte Aufgabenteilung zu leben, ausgebremst. Das ist für alle frustrierend. Darum brauchen wir nicht pseudo-liberale Phrasen, sondern mutige politische Taten, die den beschriebenen Teufelskreis durchbrechen. 

Erstensbraucht es eine gemeinsame, bezahlte Elternzeit, die gleiche Bedingungen für Mütter und Väter schafft. Das Paar soll gemeinsam alle familiären Vor- und eben auch alle arbeitsmarktlichen Nachteile teilen. So entsteht Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern und echte Entscheidungsfreiheit für die Familien. Zweitensmüssen die Kosten für die ausserfamiliäre Kinderbetreuung runter. Da stehen für die Finanzierung auch die Arbeitgeber in der Pflicht. Schliesslich profitieren sie von den gut ausgebildeten Arbeitskräften. Unddrittensmuss die Lohngleichheit endlich durchgesetzt werden – nötigenfalls mit scharfen Sanktionen.

Die Zeit des Hinhaltens und der Pflästerlipolitik ist abgelaufen. Wir brauchen jetzt einen Sprung nach vorn. Für die Gleichstellung. Für echte Wahlfreiheit der Familien.

Dieser Beitrag ist am 5. Juli 2019 als Kolumne im Bündner Tagblatt erschienen.

Website by pr24 GmbH, Graubünden