Gemäss Artikel 163 des Parlamentsgesetzes kann die Bundesversammlung eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) einsetzen, wenn «Vorkommnisse von grosser Tragweite der Klärung bedürfen». Die Spionageaffäre um die Zuger Crypto AG, die letzte Woche enthüllt wurde, ist zweifellos ein solcher Fall. 

Die Maschinen, welche die Crypto AG seit 1970 in über hundert Länder lieferte, waren manipuliert. Staaten, die auf Verkaufsargumente wie «Schweizer Qualität» oder «Schweizer Neutralität» vertrauten, wurden betrogen und ausspioniert. Ihre geheimen Informationen gelangen direkt zur amerikanischen CIA und zum deutschen BND. Die abgehörten Informationen sollen sogar weltpolitische Ereignisse beeinflusst haben. So zum Beispiel den Putsch gegen den demokratischen Präsidenten Salvador Allende in Chile, die Friedensverhandlungen zwischen Ägypten und Israel auf Camp David oder die schweren Menschenrechtsverletzungen während der argentinischen Militärjunta, als Oppositionelle aus Flugzeugen ins Meer geworfen wurden. Die USA und Deutschland waren dank Spionage «Made in Zug» Akteure oder zumindest Mitwisser dieser Ereignisse.

Und was wusste die offizielle Schweiz? Was wussten einzelne Bundesräte? Was unsere Gesamtregierung? Welche Rolle spielte der Schweizer Geheimdienst? Machte er sich zum Komplizen von CIA und BND? Hat die Schweiz die Spionage aktiv geschützt? Hat sie allenfalls davon profitiert? Waren der Schweiz beispielsweise die dramatischen Menschenrechtsverletzungen in Argentinien bekannt? Oder wurde die Schweiz selbst überwacht? Welche Schweizer Gesetzte wurden wie oft gebrochen und wer wusste davon? Warum haben die Schweizer Bundesanwaltschaft und die Bundespolizei die Aktivitäten der Crypto AG nicht erfolgreich geahndet? Und vor allem: Was sind die politischen Konsequenzen aus dieser Affäre? Wie lässt sich die Glaubwürdigkeit der Schweiz wiederherstellen? Wie beschädigt ist unsere Neutralität?

Diese und andere Fragen müssen nun dringend von einer PUK geklärt werden. Sie wird viel juristische und politische Cleverness sowie historisches Wissen brauchen. Und vor allem braucht sie den Mut, unangenehme Fragen zu stellen. Auch an Personen, die bis heute in der Verantwortung stehen. Zum Beispiel an Herrn Markus Seiler, Generalsekretär des Aussendepartements, der jahrelang Chef des Schweizer Geheimdienstes war. Wusste er wirklich nichts von der Crypto-Spionage? Immerhin weisen die von der «Rundschau» publik gemachten CIA-Dokumente darauf hin, dass «Schlüsselpersonen in der Regierung» von den Spionage-Aktionen gewusst hätten. Es ist Zeit, den Schweizer Geheimdienst zu durchleuchten.

Es geht um die Glaubwürdigkeit der Schweiz als neutraler Rechtsstaat. Das Parlament steht in der Pflicht, alles dafür zu tun, sie wiederherzustellen. Wann, wenn nicht jetzt ist das schärfste parlamentarische Aufklärungsmittel angebracht?

Dieser Text ist am 19. Februar 2020 als Kolumne in der Südostschweiz erschienen.

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