«Systemrelevant» – dieses Wort ist wieder in aller Munde. Grosse Banken seien angeblich systemrelevant. Darum musste nach der UBS 2009 nun auch die CS mit Milliarden der Bürgerinnen und Bürger gerettet werden. Dass die Casino-Banken wirklich systemrelevant sind, würde ich bezweifeln. Zumindest nicht für ein gutes System. Klar ist aber: Grossbanken sind schlicht zu gross und zu mächtig, um fallengelassen zu werden.

Wirklich systemrelevant sind andere: die Arbeiterinnen und Arbeiter. Die Bähnlerinnen und Chauffeure, die Kindergärtner und Lehrerinnen, die Verkäuferinnen und Lageristen, die Elektroinstallateure und Polizistinnen, die Pflegerinnen und Bauarbeiter, die Sozialarbeiter und die Sanitärinnen, die Köche und die Apothekerinnen, die Sekretärinnen und die Strassenkehrer – sie alle und viele mehr sind es, die jeden Tag dafür sorgen, dass unser Leben funktioniert. Mit ihrer Erwerbsarbeit einerseits und mit ihrer unbezahlten Pflege-, Erziehungs- und Betreuungsarbeit andererseits.

«Let’s drink to the hard working people, let’s drink to the salt of the earth», singt Mick Jagger in der legendären Working-Class-Hymne der Rolling Stones. Als agnostischer Mensch habe ich gewisse Hemmungen vor Bibelzitaten und doch finde ich: Jagger und die Stones haben Recht. Die hart arbeitenden Menschen schaffen die Werte unserer Wirtschaft. Sie sorgen für Fortschritt und Sicherheit in unserer Gesellschaft. Durch sie entsteht Würde für und Zugehörigkeit unter Menschen. Sie sind tatsächlich das Salz der Erde!

Umso nötiger war es, dass unsere Genossin und Freundin Jacqueline Badran gestern in der Sonntagszeitung darauf aufmerksam gemacht hat, dass die arbeitenden Menschen viel zu wenig Sichtbarkeit erhalten, oft geradezu vergessen werden. Von der Politik oder auch in den Medien. Sie fragt zu Recht: Warum gibt es zum Beispiel ein «SRF Börse» aber kein «SRF Arbeit»?

Dabei wissen eigentlich alle: Fallen einmal für eine Woche alle CEOs und Verwaltungsrätinnen oder auch alle Regierungsrätinnen und Nationalräte aus, dann passiert – gar nichts! Fallen einmal für eine Woche alle Pflegerinnen oder alle Bähnler aus – das Land stünde am Abgrund!

Deshalb feiern wir am 1. Mai die Arbeiterinnen und Arbeiter. Und in den übrigen 364 Tagen des Jahres engagieren wir uns für einen fundamentalen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Wandel in unserer Gesellschaft. Dafür, dass die Arbeit endlich den Respekt und die Anerkennung erhält, die sie verdient. Für eine soziale Wende in Wirtschaft und Politik.

Wie nötig diese ist, konnte ich die letzten Monate in Bern hautnah miterleben.

Während der Bundesrat die CS mit 259 Milliarden und ohne Sicherheiten für die Bevölkerung gerettet bzw. der UBS verschenkt hat, verweigerten Bundesrat und Parlament den Rentnerinnen und Rentnern den vollen Teuerungsausgleich.

Während die Parlamentsmehrheit das Militärbudget um Milliarden erhöhte, hat die gleiche Mehrheit mit der neusten BVG-Revision eine massive Rentensenkung in der beruflichen Vorsorge beschlossen.

Während die Mieten explodieren und sich immer mehr Menschen – gerade in unserem Kanton – das Wohnen kaum mehr leisten können, beschliessen die Bürgerlichen im Parlament eine Aufweichung des Mietrechts.

Während die arbeitende Bevölkerung letztes Jahr im Durchschnitt eine Reallohneinbusse von 1.9 Prozent hinnehmen musste, wollen die rechten Parteien in National- und Ständerat die von Volk beschlossenen kantonalen Mindestlöhne schleifen.

Klar: Wir als Sozialdemokratische Partei und Gewerkschaften kämpfen gegen diese unsoziale und schädliche Politik der aktuellen Mehrheit in Bundesrat und Parlament.

Das grottenschlechte Rettungspaket für die CS haben wir abgelehnt. Und wir werden nicht ruhen, bis die neue Monster-UBS viel stärker reguliert wird. Ein Bonus-Verbot für die Teppichetage und viel schärfere Eigenkapitalvorschriften sind das Mindeste. Nie wieder dürfen die Kosten und Risiken sozialisiert werden, während die Gewinne privat bleiben.

Mit dem Referendum wehren wir uns gegen die inakzeptable BVG-Revision. Und hier können wir optimistisch sein: Die Bevölkerung wird es nicht akzeptieren, dass sie mehr bezahlen muss, um am Schluss weniger Rente zu haben!

Und natürlich werden wir uns weiterhin für Mindestlöhne, mehr Gesamtarbeitsverträge mit besseren Löhnen, bezahlbare Mieten und tiefere Krankenkassenprämien einsetzen.

Aber das genügt nicht, wir müssen mehr schaffen. Wir müssen eine Bevölkerungsmehrheit für die soziale Wende gewinnen.

Dazu gehört auch ein wirksamer Klimaschutz. Weil wir genau wissen, dass es in einer kaputten Natur keine gute Arbeit und keine soziale Gerechtigkeit geben kann. Darum ist ein Ja am 18. Juni zum Klimaschutzgesetz absolut vordringlich!

Zur sozialen Wende gehört auch endlich mehr Gleichstellung in unserem Land. Am 14. Juni findet wieder der Feministische Streik statt. Sorgen wir dafür, dass er zu einem mächtigen Zeichen gegen die Lohnungleichheit, gegen die Rentenlücke, für Respekt, für gleiche Rechte und Chancen wird!

Dass es eine soziale Wende braucht, beweisen auch die letzten Verlautbarungen des Arbeitgeberverbandes. Statt dem Fachkräftemangel zu begegnen, indem man die Arbeitsbedingungen und die Löhne verbessert, sagen sie, die Leute sollten mehr und länger arbeiten. Die wachsende «Teilzeit-Mentalität» sei schuld an den wirtschaftlichen Problemen. Das ist erstens falsch, weil die Statistik zeigt, dass die Leute im Durchschnitt mehr arbeiten als vor zehn Jahren. Und es ist zynisch und weltfremd, weil die Menschen im Interesse der Volksgesundheit weniger statt mehr arbeiten sollten.

Für die soziale Wende braucht es nicht nur Widerstand gegen solche Angriffe auf die Rechte der Arbeitenden. Es braucht ein kollektives Bewusstsein dafür, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse keine Naturereignisse sind, sondern das Resultat von politischen Entscheidungen. Es ist zum Beispiel nicht einfach Schicksal, dass in der wohlhabenden Schweiz zugleich rund 800’000 Menschen in Armut leben, während die 300 Reichsten ein Vermögen von 821 Milliarden – mehr als das Zehnfache des Bundesbudgets – besitzen.

Diese ungeheure Ungleichheit ist das Resultat einer unsozialen Politik. Und deshalb kann sie auch überwunden werden. Aber wir müssen uns dafür engagieren: politisch, gewerkschaftlich, im Alltag. Damit mehr Menschen erkennen, dass sie Teil einer solidarischen Veränderung sein können. Das ist letztlich die Idee der sozialen Demokratie, für die der Tag der Arbeit steht.

Wie ihr wisst, ist der 1. Mai der einzig wirklich globale Feiertag. Denn der Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter um Würde, Freiheit und Gerechtigkeit war und ist ein weltweiter.

Darum schliesse ich mit einigen Gedanken an unsere Genossinnen und Kollegen in anderen Teilen der Welt.

Ich möchte an den doppelten Kampf vieler ukrainischer Arbeiterinnen und Arbeiter erinnern. Sie kämpfen mit der Waffe in der Hand an der Front gegen den imperialistischen Krieg Russlands, damit ihr Land und ihre Demokratie eine Zukunft haben. Und gleichzeitig führen sie eine politische Auseinandersetzung innerhalb der ukrainischen Demokratie gegen die unsozialen Reformen ihrer Regierung. Der Mut und der Durchhaltewille dieser Kolleginnen und Genossen ist unbeschreiblich. Unsere Gedanken sind bei ihnen.

Ich möchte auch an die Arbeiterinnen und Arbeiter in der Türkei erinnern, die sich unter schwierigsten Bedingungen trotz über 100 Prozent Inflation (!) und einer zum Teil brutalen Repression im aktuellen Wahlkampf engagieren, um am 14. Mai die türkische Demokratie vor dem Autokraten Erdogan zu retten. Auch sie sind eine Inspiration für uns alle.

Und nicht zuletzt möchte ich an die Arbeiterinnen und Aktivistinnen im Iran erinnern. Seit Monaten stehen sie unter Einsatz ihres Lebens auf, um gegen das verbrecherische Mullah-Regime in Teheran zu protestieren. Viele haben schon ihr Leben verloren. Doch viele Frauen und Männer kämpfen weiter. Für «Frau, Leben, Freiheit», wie sie sagen. Also für die Idee der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit. Letztlich für die Werte, die auch den 1. Mai ausmachen.

Wir feiern den Tag der Arbeit, um die Arbeiterinnen und Arbeiter, ihre Rechte und unsere Idee der sozialen Gerechtigkeit zu feiern. Und wir fordern eine soziale Wende: Freiheit, Demokratie und Würde für alle, anständige Arbeitsbedingungen, gute Löhne und faire Renten. Hier und überall auf der Welt.

Es lebe der 1. Mai – und hoch die internationale Solidarität!

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